Change kann man nicht managen!
Seit über 30 Jahren begleite ich Menschen in Veränderungssituationen. Mich interessieren sehr die individuellen Fallstricke bei Verhaltensänderungen. In den letzten Jahren beobachte ich besonders einen wiederkehrenden Effekt im Unternehmenswandel: Es ruckelt, knirscht und dann auf einmal geht es los. Ich frage mich immer wieder neu: Was brauchen Menschen und Organisationen für gelingenden, nachhaltigen Wandel? Ich habe da meine eigenen Vorstellungen und Ideen, denn Change kann man meiner Meinung nach nicht managen.
Change Management war eines der vielen Schlagwörter, wie sie regelmäßig und unablässig durch die Managementetagen getrieben werden. Ich persönlich glaube, Unternehmen, Teams und Menschen verändern sich eher organisch. Vielleicht heißen Organisationen genau deswegen genauso. Nachhaltigkeit im Wandel braucht ein paar gute Zutaten:
Wandel beginnt mit Neuausrichtung
Veränderung braucht eine Richtung. Wissen, was man nicht will, ist ein schlaffer Ersatz für ein schmackhaftes Ziel. Meistens begleite ich Unternehmen aus der Druck-/Medienbranche. Jeder ahnt, wie hoch der Veränderungsbedarf dort ist.
Leider kommen Verantwortliche oft sehr spät auf mich zu – wenn sie und ihre Unternehmen in Not sind. Dann gilt, Dringendes und Wichtiges gleichzeitig zu tun. Genauer gesagt: Das eine tun ohne das andere zu lassen. In dieser Risikozone müssen kurzfristige Ergebnisse und Effekte erzielt werden. Zuerst werden die Lecks gestopft, durch die Wasser ins Schiff eindringt.
Gleichzeitig gilt es, eine Richtung oder Position zu finden – eine neue Strategie oder Vision des Wandels zu entwickeln. Dies entspricht der notwendigen Kursänderung, raus aus dem gefährlichen Fahrwasser und den Untiefen, hin zu neuen Ufern, neuen Häfen.
Veränderung ist Verhaltensänderung
Eines der berühmteren Zitate Einsteins lautet sinngemäß: Die Denkweise, die zum aktuellen (Krisen-)Zustand geführt hat, taugt nicht für die Lösung. Das bedeutet auch: ›Weiter so‹ ist keine Option. Alles gehört auf die Goldwaage.
Alt bekannte Verhaltensweisen sind zu überprüfen. Taugt all dies noch für den neuen Kurs, um aus der Krise zu kommen? Es gilt genau zuzuhören, wenn da kommt: ›Haben wir immer schon so gemacht‹. Was vom Alten ist wertvolle Tradition, soll oder muss weiter leben? Und was davon hindert auf dem neuen Weg?
Verantwortungs- und Selbstbewusstsein
Wenn es um Verhaltensänderung und Ursachenforschung geht, erlebe ich häufig ähnliche Situationen: ›Man‹ weiß genau, wo etwas geändert werden muss und wo der Hase im Pfeffer liegt – in den anderen Abteilungen, bei Kolleginnen und Kollegen da oben, da unten, da hinten oder da vorne – bei den anderen.
Hier braucht der Wandel ein neues Bewusstsein: Jeder trägt (Mit-)Verantwortung für den aktuellen Zustand und die gemeinsame Zukunft. Ich arbeite mit allen Beteiligten, Ebenen und Teams daran, eine Kultur der Offenheit und Lösungsorientiertheit zu entfalten. Es heißt: Was können wir draus lernen? Wenn nicht so, wie dann?
Mir ist wichtig, den größtmöglichen Anteil einer Belegschaft für den Wandel zu gewinnen – und die notwendige Verhaltensänderung. Dabei macht es für mich keinen Unterschied, ob ich bei Kapitänen und Offizieren auf der Brücke bin oder unter der Wasserlinie im Maschinenraum. Es braucht jede Hand. Jeder sollte bei sich selbst anfangen mit der Verhaltensänderung.
Gruppenintelligenz setzt auf dynamische Zusammenarbeit und die daraus resultierende Kreativität und Vitalität. Es gilt, sich selbst aktiv einzubringen, statt fragend eine bestimmte Person anzuschauen – die Chefin, den Coach oder die Kollegenrunde. Jeder ist gefragt, mitzugestalten. Gestalten ist eben nicht meckern, sondern Lösungen und Ideen sammeln – sich voll und ganz einbringen.
Geduld und Ausdauertraining
Wenn man sein Verhalten ändert, bewegt man sich heraus aus der Komfortzone. Die Reise geht meist in unbekannte Regionen. Vieles ist neu und unbequem. Wenn man etwas neu oder anders macht, kommen Fehler vor. Rückschläge sind keine Seltenheit. Doch jetzt nicht nachlassen. ›Ich habe es ja immer gewusst‹, hilft nicht weiter.
Mantrengleich frage ich wieder und wieder: ›Wenn nicht so, wie dann?< Diese Phase ist zäh. Hier wirkt der übliche Schweinehund, der doch lieber zurück aufs Sofa, in die Komfortzone möchte. Oder die Angsthasen, die lieber verharren in der (vermeidlich) sicheren Position.
Fehler machen gehört dazu, wie das Hinfallen beim Laufen lernen. Doch niemand würde heute aufrecht gehen, wäre er als Baby nach den ersten Stürzen liegen geblieben.
Und es braucht Zeit. Jeder weiß, wie lange es braucht, bis man (lieb gewordene) Angewohnheiten aufgegeben hat, sein individuelles Verhalten geändert hat. In Unternehmen und Organisationen braucht es länger. Die Wellen der Veränderung schwappen hin und her. Bis endlich eine Richtung, eine einheitliche Strömung erkennbar wird.
Ich würde lügen, wenn ich kurzfristigen Wandel verspräche. Eine wirkliche Veränderung braucht länger als ein paar Quartale. Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. Eine Organisation ist etwas lebendiges Organisches. Doch welche Alternativen gibt es? Nichts tun ist auch keine Lösung.
Steckenbleiben, Scheitern und Erfolgsgeschichten
Nach einiger Zeit der Zusammenarbeit bemerke ich gelegentlich, wie fast unmerklich zu alten Verhaltensweisen zurück gekehrt wurde. Mitunter äußern einige ihren Eindruck, die Stimmung verdunkele sich wieder – bemerken die Abwesenheit der anfänglichen Euphorie.
Veränderungen scheitern, wenn einzelne glauben ohne Konzentration, Bewusstsein und Verhaltensänderung durch zu kommen – ob nun Führungspersonen oder Abteilungen. Meine Aufgabe ist, immer wieder zur Verhaltensänderung aufzurufen – immer wieder an das neue Ziel zu erinnern.
Wenn die Zusammenarbeit gelingt und das Vertrauen in den Veränderungsprozess wächst, wachsen Erfolge auf unterschiedlichen Ebenen: Zum einen sprießen Vorschläge und Ideen, die zu Erfolgsfaktoren werden (können). Zum anderen wird gegenseitige Unterstützung zur Kultur. Statt Schuldige werden Lösungen und Möglichkeiten gesucht. Besprechungen werden produktiver und die Kommunikation wertschätzender. Der Wandel wird zum Miteinander.
Der Ruck
Und dann gibt es einen typischen Moment – nach anfänglichem Hin und Her, nach Reibereien, Rückschlägen oder gar Enttäuschungen: Dann ist da der Moment des Bewusstseins und des Wollens. Es ist ein Ruck – so, als würde sich das gesamte System nun endgültig von Altem losreißen.
Diese Momente erlebe ich als sehr berührend. Es sind die Augenblicke, wo genau der Mensch, der mich anfangs angefeindet hat zu mir kommt und sagt: ›Tom, ich bin froh, dass Du da bist.‹
Ich bin dankbar für diese Momente in meinem Leben.
Tom Müller
Video
Ähnlich stürmisch kann es in Unternehmen und Organisationen im Wandel zugehen – bei der Kursänderung in kritischen Situationen.