Zwei Pizzen sind nicht genug

Mit der Gruppengröße ist es nicht getan – wie schnel­ler, siche­rer & nach­hal­ti­ger Entscheidungen getrof­fen werden.

Creative Commons CC0 1.0 Universal Public Domain; Dedication via Pixabay … [1]

Amazon-Chef Jeff Bezos ist der reichs­te Mann der Welt. Eine sei­ner so genann­ten Erfolgsregeln wird immer wie­der zitiert: Ein Meeting soll­te nur so vie­le Teilnehmende haben, wie man mit zwei Pizzen satt bekommt. Doch viel­leicht war­ten Sie noch ein paar Minuten bis Sie das nächs­te Meeting ein­be­ru­fen – und den Pizza-Service bestel­len! Hier erfah­ren Sie, wie Sie die Gruppenintelligenz der Organisation akti­vie­ren und gleich­zei­tig schnel­ler zu Entscheidungen und trag­fä­hi­gen Beschlüssen kommen.

Gruppenintelligenz wird auch als Weisheit der Vielen bezeich­net. Ich bin ein Fan davon, mit vie­len Menschen nach neu­en Ideen zu suchen. Gerade dann, wenn es um Innovationen, krea­ti­ve Neuerungen oder gar Auflösung lang gepfleg­ter Probleme geht. Dabei kann mir die Mischung gar nicht bunt und hete­ro­gen genug sein – mag ich mich nicht auf eine Zwei-Pizzen-Auswahl beschrän­ken. 2 × 8 Gehirnhälften sind mir ein­fach nicht genug.

Die Weisheit der Vielen kommt von viel

Ich hör­te ein­mal einen Konzern-Personalentwickler zitie­ren: ›Mitarbeitende sind das Kapital des Unternehmens. Man kann es arbei­ten las­sen oder hin­aus­wer­fen.‹ Was sich so grob anhört, hat einen sinn­haf­ten Kern: Was wäre es für eine Verschwendung, das Wissen der Belegschaft nicht zu nut­zen? Ich glau­be, die Weisheit eines Unternehmens ist uner­mess­lich groß. Gerade wenn die Komplexität der Herausforderungen steigt, soll­te man die­ses Potenzial nut­zen. Darüber hin­aus wächst auf die­se Weise die Motivation zur Mitarbeit und für die Umsetzung beschlos­se­ner Maßnahmen.

Die opti­ma­le Gruppe ist klein – oder klei­ner als gedacht

Bei mei­ner Arbeit in mit­tel­stän­di­schen Unternehmen mische ich ger­ne Personen aus allen Ebenen und Bereichen – über hori­zon­ta­le und ver­ti­ka­le Begrenzungen hin­weg. Mitunter kom­men auch noch Teilnehmende von außen dazu. Wer kennt den Kunden bes­ser als der Kunde selbst? Lieferanten brin­gen eben­falls wert­vol­le Informationen ein. Deren Wissen und Perspektiven kön­nen so früh­zei­tig inte­griert werden.

Die vie­len unter­schied­li­chen Personen in sol­chen Runden sind ein Abbild der Welt – und des Umfelds um das Thema her­um. Ich glau­be, es braucht vie­le unter­schied­li­che Sichtweisen, wenn ein Unternehmen in die­sen schnell­le­bi­gen, dyna­mi­schen Zeiten sei­ne Position behaup­ten möch­te. Doch wie orga­ni­siert man dies?

Nehmen wir ein­mal an, die opti­ma­le Gruppengröße ist irgend­wo zwi­schen den 8 Menschen, die Jeff Bezos mit zwei Pizzen bewir­ten möch­te, und 5 Menschen die Conny Dethloff von der Otto Group in sei­nen Artikeln[2] mathe­ma­tisch her­lei­tet. Daraus resul­tie­ren Obergrenzen für Kreise und Gruppen. Zumindest dann, wenn jeder jeden ver­ste­hen und es gleich­zei­tig noch krea­tiv und dyna­misch zuge­hen soll.

Diese bei­den Argumente waren wohl auch für die Organisationsmethode Soziokratie[3] ent­schei­dend, mit der der Weiterentwickler Gerard Endenburg das Unternehmen sei­ner Eltern refor­mier­te, gar ret­te­te. Die Idee ist ein Unternehmen aus­ge­hend vom Leitungskreis in immer wei­te­re Funktions- oder Rollenkreise zu unter­tei­len – und die­se Kreise mit­ein­an­der durch Stellvertretende zu verknüpfen.

Chancen und Nutzen digi­ta­ler Tools

Ergebnisseite einer Online-Konsensierung mit dem Vorläufersystem von Acceptify [4]

Jetzt wird es viel­leicht Unternehmensverantwortlichen etwas blü­mer­ant zumu­te, wenn sie sich eine sozio­kra­ti­sche Organisationsform vor­stel­len – in denen die Belegschaft in Zirkeln aus 5 – 8 Personen auf­ge­teilt ist. Das sum­miert sich leicht auf Dutzende Kreise, wenn man wirk­lich alle ein­be­zie­hen woll­te. Wie soll das wirt­schaft­lich und in ange­mes­se­ner Geschwindigkeit mög­lich sein?

Da hel­fen digi­ta­le Werkzeuge, wie etwa das öster­rei­chi­sche System Acceptify[5], mit dem Ideen und Lösungsvorschläge per Internet gesam­melt wer­den kön­nen. Alle Beteiligte kön­nen Fragen zu Vorschlägen stel­len sowie Vor- und Nachteile ergän­zen. Zu guter Letzt wer­den alle Vorschläge online bewer­tet. Der gra­vie­ren­de Vorteil für das Unternehmen ist, dass nicht alle gleich­zei­tig in einem Meeting am glei­chen Ort anwe­send sein müs­sen. Das senkt die Kosten enorm und för­dert den­noch die Kreativität – weil jeder zu der Tageszeit aktiv wer­den kann, wenn er sich die Zeit dafür neh­men kann.

Das System ist so ska­lier­bar kon­stru­iert, dass es gar für Bürgerbefragungen genutzt wer­den kann – wie etwa in der öster­rei­chi­schen Gemeinde Munderfing[6]. Doch was hat Demokratie mit Unternehmertum zu tun? Der ein oder ande­re Wirtschaftskapitän preu­ßi­scher Schule wit­tert hier viel­leicht Basisdemokratie oder gar Anarchie. Ich mag hier nicht die psy­cho­lo­gi­schen Grundlagen intrin­si­scher Motivation bemü­hen. Die Entscheidung ist auch so rela­tiv einfach:

Wenn Ihr Unternehmen gut über die Runden kommt und selbst den hef­ti­gen Wogen der Digitalisierung trotzt, brau­chen Sie sich wenig Gedanken zu machen. Der Lohn wäre min­des­tens die stei­gen­de Mitwirkungsmotivation der Belegschaft und im Idealfall ein Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (Kontinuierlicher Verbesserungsprozess). Akuter Handlungsbedarf besteht eh, wann immer etwas bes­ser lau­fen könn­te. Dann soll­te man an das krea­ti­ve Potenzial in der Belegschaft gelan­gen und es für die Zukunftssicherung des Unternehmens nutz­bar machen.

Wer siche­re Schritte tun will, muss sie lang­sam tun[7]

So lie­ßen sich die typi­schen Herausforderungen des Mittelstandes in Deutschland gleich­zei­tig als Chance nut­zen – mit einer neu­en Entscheidungskultur: Schneller, inno­va­ti­ver, inter­na­tio­na­ler und gleich­zei­tig jün­ger wer­den. Wer die­se Herkulesaufgaben mit klas­sisch, hier­ar­chi­scher Führung ange­hen möch­te, wird an sei­ne Grenzen sto­ßen – oder die der Generationen Y und Z.

Ein grund­le­gen­der Paradigmenwechsel bei Entscheidungen kann zuver­läs­sig und sicher gelin­gen – auch der wei­te Weg von der klas­si­schen Hierarchie zur grup­pen­in­tel­li­gen­ten Organisation. Wichtig erscheint mir, dabei beson­nen und acht­sam und hoch­in­di­vi­du­ell vor­zu­ge­hen. Immerhin gilt es, vie­le Menschen mitzunehmen.

Ich schaue mir in Unternehmen erst ein­mal die vor­han­de­ne Besprechungs- und Entscheidungskultur genau­er an:

  • Welchen Anteil ihrer Arbeitszeit ver­brin­gen Führungspersonen in Besprechungen?
  • Wie vie­le Personen neh­men an Meetings teil?
  • Wie lan­ge dau­ern Besprechungen?
  • Wie vie­le Entscheidungen wer­den getroffen?
  • Wie wer­den die­se Entscheidungen doku­men­tiert, kommuniziert?
  • Wie nach­hal­tig erfolg­reich gelingt die Umsetzung der Entscheidungen?

Je mehr Struktur, des­to schnel­ler und mehr krea­ti­ve Ergebnisse

Eine ein­fa­che Struktur hilft, den Unterschied zwi­schen klas­si­schen Besprechungen und einer vita­len Entscheidungskultur zu erle­ben. Gehen Sie in einer Ihrer nächs­ten Besprechungen nur zum Test mit fol­gen­der Struktur vor:

  1. Das Thema oder Problem beschrei­ben und eine offe­ne Fragestellung ent­wi­ckeln, zu der Ideen gesam­melt wer­den soll.
  2. Jeder sam­melt für sich Ideen, die zur Lösung geeig­net sind – mit­un­ter bes­ser schriftlich.
  3. Jeder prä­sen­tiert sei­ne Ideen der übri­gen Runde.
  4. Alle ande­ren stel­len Verständnisfragen, um den Vorschlag spä­ter bewer­ten zu können.
  5. Der Ideeninhaber – und nur der – beant­wor­tet die Fragen.
  6. Alle Ideen wer­den auf einer Pinnwand gesam­melt und nummeriert.
  7. Ergänzen Sie die Ideensammlung um eine Passivoption, die da lau­tet: Wir las­sen alles so wei­ter­lau­fen wie bisher.
  8. Falls es zur Ideensammlung wei­te­ren Gesprächsbedarf gibt, wird auf kei­nen Fall dis­ku­tiert! Stattdessen darf jeder zu jeder Idee Vor- und Nachteile ergänzen.
  9. Abschließend erfolgt die Bewertung. Jede Idee wird von jedem für sich allein bewer­tet – nach einem Punktesystem von 0 – 10 Einwandspunkten. Diese Skala in Einerschritten vari­iert in einer Bandbreite der Bedeutungen von 0 = ›ist für mich in Ordnung oder fin­de ich OK und sinn­voll‹ über 5 = ›da habe ich Bedenken‹ bis zu 10 = ›da habe ich schwer­wie­gen­de Bedenken, Einwände oder gar Widerstand‹.

Dieses Verfahren nennt sich Systemisches Konsensieren[9].

Sie wer­den erle­ben, wie sehr eine Runde bei ers­ten Tests die­ser Methode an alten Denk- und Verhaltensweisen hängt. Bei nahe­zu jedem Klienten muss ich Diskussionen rigo­ros unter­bin­den. Jeder hat die Möglichkeit bes­se­re Vorschläge zu machen und zu guter Letzt jede ein­zel­ne Option zu bewer­ten. Wozu also die wert­vol­le Zeit vie­ler Menschen mit Diskussionen vergeuden?

Gruppen, die die­se oben skiz­zier­ten 9 Stufen durch­lau­fen, gelan­gen inner­halb über­ra­schend kur­zer Zeit zu einem Meinungs- oder Stimmungsbild. Dieses spie­gelt nicht nur das krea­ti­ve Potenzial und die Erfolgsaussichten wider, son­dern auch die Umsetzungsmotivation. Die meis­ten Teams schau­en mich völ­lig über­rascht an, wenn sie so schnell zu einem ers­ten Ergebnis gekom­men sind.

Meeting-Kosten-Rechner als Google-Docs-Tabelle im WWW [8]

Servieren Sie Torte statt Pizza

Ganz gleich, was Lehrbücher oder Experten vor­ge­ben. Aus mei­ner Sicht geht es dar­um, einen indi­vi­du­el­len, für das jewei­li­ge Unternehmen pas­sen­den Pfad zu fin­den, zu mehr Gruppenintelligenz, zu mehr Entscheidungen und damit zu mehr Erfahrungen zu kom­men. Ob Sie nun 6 oder 12 Personen in Ihren Entscheidungskreisen bewir­ten, ob Sie Teilnehmende aus allen hori­zon­ta­len oder ver­ti­ka­len Positionen ein­la­den: Entscheidend ist aus mei­ner Sicht eine fes­te Struktur und ein vor­her­sag­ba­rer Ablauf, mit der man schnell, krea­tiv und sicher zu trag­fä­hi­gen Beschlüssen kommt.

Dabei braucht man nicht sofort die kom­plet­te Organisation auf den Kopf zu stel­len. Beginnen Sie dort, wo Entscheidungen getrof­fen wer­den: in Führungsmeetings oder in Arbeitsgruppen, mit den oben skiz­zier­ten 9 Schritten. Ob die Innovationen aus der Produktion kom­men oder von ein­ge­la­de­nen Kunden oder Lieferanten ins Unternehmen gebracht wer­den: Das ist Ihren zufrie­de­ne­ren Kunden egal.

Fragen?

Haben Sie eine ande­re Meinung oder noch Fragen zu Meeting-Kultur, deren Integration sowie der Umsetzung der 9 Schritte oben? Bitte hin­ter­las­sen Sie hier Ihren Kommentar oder sen­den Sie mir eine Nachricht. Das Kontaktformular fin­den Sie hier …

Weiterführende Links

Quellen

Fotos

[1] Fotoquelle ›Pizzen‹: Creative Commons CC0 1.0 Universal Public Domain; Dedication via Pixabay …

[4] Fotoquelle: Eigener Screenshot;

[8] Fotoquelle: Eigener Screenshot.

Verweise

[2] Blog Reise des Verstehens von Conny Dethloff, Agile Center Otto Group:

  1. https://​blog​-con​ny​-dethl​off​.de/​?​p​=​3​952
  2. https://​blog​-con​ny​-dethl​off​.de/​?​p​=​3​969

[3] Wikipedia ›Soziokratie‹; https://​de​.wiki​pe​dia​.org/​w​i​k​i​/​S​o​z​i​o​k​r​a​tie

[5] Online-System für Konsensierungen Acceptify; www​.accep​ti​fy​.at;

[6] Das Munderfinger Bürgerbeteiligungsmodell; https://​www​.mund​er​fing​.at/​a​k​t​u​e​l​l​e​s​/​d​a​s​-​m​u​n​d​e​r​f​i​n​g​e​r​-​b​u​e​r​g​e​r​b​e​t​e​i​l​i​g​u​n​g​s​m​o​d​e​ll/

[7] Johann Wolfgang von Goethe, 1749 – 1832, Deutscher Dichter und Forscher

[9] Kurzüberblick Systemisches Konsensieren; http://​www​.sk​-prin​zip​.eu/​d​a​s​-​s​k​-​p​r​i​n​z​i​p​/​z​u​s​a​m​m​e​n​f​a​s​s​u​ng/

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