Wie Gruppenintelligenz bei Veränderungen hilft – Teil 4
Der vorherige Teil dieser Beitragsserie beschäftigte sich mit dem Sammeln möglichst vieler Ideen. Im Idealfall türmt sich nach einer Kreativ-Phase ein großer Haufen an Vorschlägen auf dem Tisch. Nun geht es daran, auszuwerten. Was ist machbar, die bestmögliche Lösung oder die mit der größten Zustimmung? Wie soll nun entschieden werden? Hier hilft eine Alternative zum herkömmlichen Mehrheitsentscheid, wenn es konfliktfrei und kooperativ bleiben soll …
Nach der Kreativ-Phase gilt es, die gesammelten Ideen und Möglichkeiten zu gewichten und zu bewerten. Erst dann werden Beschlüsse gefasst und Aufgaben zu verteilen sein. Die wichtige Herausforderung an dieser Stelle: Wie können Bewertungen getroffen werden und Entscheidungen gelingen, ohne dass hier erneut Konflikte entstehen – sich Einzelne benachteiligt fühlen?
Ein modernes Abstimmungsverfahren hilft, dass die Weisheit der Vielen aktiv bleibt – und auch in Zukunft weiter wirken wird: Systemisches Konsensieren.
Sinnvoll soll es sein – und gerecht
Wie schon im Teil 2 ›Wer fragt, der führt …‹ dieser Beitragsserie geschildert, entscheidet die Art der Frage über die Art der Antworten. Dies gilt auch für Auswertungs- und Abstimmungsverfahren. Aus den üblichen Verfahren kennt man die Fragen:
- Wer ist dafür?
- Wer ist dagegen?
- Wer enthält sich?
Diese Mehrheitsabstimmungen haben aus meiner Sicht entscheidende Nachteile: Sie erzeugen automatisch Gewinner und Verlierer. Die sich Enthaltenden werden von den anderen Gruppen gerne noch mit vereinnahmt. Gegebenenfalls bleibt ein großer Anteil an Stimmen unberücksichtigt. Sehr deutlich wird dies, wenn für eine Entscheidung nur zwei Optionen zur Verfügung stehen – und sie darüber hinaus knapp ausgeht.
Auch in Patt-Situationen setzen sich gerne hierarchisch höher Stehende oder dominant agierende Menschen durch. Oft wird erneut diskutiert, um die Unentschlossenen doch noch zu gewinnen. Oder eine Phase der Resignation. ›Dann machen wir das halt so‹, gilt dann als Zustimmung.
Mehrheitsverfahren sind nicht dazu geeignet, Teams und Gruppen im Flow zu halten – die Weisheit der Vielen zu nutzen.
Systemisches Konsensieren
Eine besonders kooperative Weise, zu bewerten und abzustimmen, ist das Systemische Konsensieren. Entwickelt wurde es von den beiden Österreichern Siegfried Schrotta und Erich Visotschnig.
Systemisches Konsensieren strebt den Konsens in Gruppen an – im besten Sinne, wie in Wikipedia formuliert: ›Um in einer Gruppe einen Konsens erreichen zu können, müssen alle Personen die Gelegenheit haben, ihren Widerspruch gegen die Entscheidung zu äußern.‹
Die erste Stufe: Auflistung aller Ideen. Im Sinne von Gruppenintelligenz bedeutet dies, möglichst vieler Ideen – wie in Teil 3 ›Kreativ, aber richtig‹ dieser Beitragserie beschrieben.
Ein Sonderfall beim Systemischen Konsensieren ist, dass zu dieser Ideensammlung die Möglichkeit ›nichts entscheiden‹ ergänzt wird. Das bedeutet, alles bleibt, wie es ist – eine Entscheidung wird verschoben.
Die zweite Stufe: Wenn alle Lösungsansätze, Ideen und Möglichkeiten gesammelt wurden, geht es an die Bewertung. Entgegen der Gewohnheit, die Zustimmung abzufragen, wird nun nach den Einwänden gefragt. Diese Einwände können differenziert angegeben werden – etwa auf einer Skala von 0 bis 10 Punkten.
In dem Fall bedeuten null Punkte, ich habe null Einwände. Zehn Einwandspunkte repräsentieren ein Maximum an Widerstand – etwa ein Veto. Die Mitte von fünf symbolisiert Unentschlossenheit oder fehlende Einschätzbarkeit.
Auf diese Weise ergibt sich je Idee, Vorschlag oder Lösungsmöglichkeit eine Bandbreite von 0 bis 10 Punkten multipliziert mit der Anzahl der Teilnehmer – also ein viel differenzierteres Ergebnis, als bei einem Mehrheitsentscheid.
Sollten sich sehr hohe (Einwands-)Werte bei einem Vorschlag zeigen, kann eine Analyse der Ergebnisse sinnvoll sein. In einem solchen Fall ergeben sich mitunter neue Ansätze und Ideen.
Die dritte Stufe: Zu guter Letzt bleibt nur noch, Beschlüsse oder Beschlussempfehlungen aus den bewerteten Möglichkeiten zu formulieren – und, um ins Tun zu kommen, Aufgaben zu verteilen.
Entscheidungen treffen wird kinderleicht
Kollege Josef Maiwald beschreibt in seinem Buch ›Smart entscheiden!‹ wie selbst in einem Kindergarten Systemisches Konsensieren angewendet wird. Dort heißen diese dann nicht Widerstands-Werte oder Einwands-Punkte: Die Kinder erhalten Buh-Ringe, die auf Stäben der entsprechenden Ideen gesammelt werden.
Besprechungen vitalisieren
Dieses Abstimmungsverfahren passt zu den Erkenntnissen der Gruppenintelligenz und kann sehr gut in Meetings und Besprechungen integriert werden. Lesen Sie hierzu mehr unter ›Vitale Meetings‹ hier im Blog!
Fragen, Anregungen, Meinungen
Haben Sie Anregungen, Meinungen, Fragen zu Abstimmungsverfahren? Ich freue mich auf Fragen, Reaktionen und Kommentare.
Vielen Dank.
Tom Müller, Gruppenintelligenz-Coach
Komplette Beitragsserie
Alle Beiträge der Serie ›Wie Gruppenintelligenz bei Veränderungen hilft‹ hier:
- Teil 1: Wenn der Wind der Veränderung weht, …
- Teil 2: Wer fragt, der führt …
- Teil 3: Kreativ, aber richtig …
- Teil 4: Auswerten, aber richtig …
Weiterführende Informationen
Feedback zu Gruppeintelligenz-Kreisen
Rückmeldungen von Teilnehmenden …
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Die nächsten Termine in den Regionen …
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Bildnachweis
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