Wie Füh­rung im Mit­tel­stand sich ver­än­dern wird

Teil 3: Wie­so es auch dort neue Füh­rungs­fä­hig­kei­ten braucht

Clipper Stad Amsterdam, Randstad, mod dualtone | Public Domain Wikimedia

Die Her­aus­for­de­run­gen und Anfor­de­run­gen, die Füh­rung und Füh­rungs­per­sön­lich­kei­ten zu bewäl­ti­gen haben, stei­gen. So bestän­dig wie der Wan­del in Markt und Orga­ni­sa­tio­nen ist, so schnell fol­gen inzwi­schen die Wel­len der Ver­än­de­rung ein­an­der. Wel­che Fähig­kei­ten braucht es nun in Zukunft, wel­cher Füh­rungs­ty­pus ist gefor­dert – wenn es den Lea­der-Pro­to­ty­pen über­haupt gäbe? Ich habe eini­ge The­sen dazu.

Ver­netzt den­ken und kom­mu­ni­zie­ren zu kön­nen ist die ers­te Her­aus­for­de­rung im Zeit­al­ter der Digi­ta­li­sie­rung – wie Oli­ver Blü­her in der Wirt­schafts­wo­che beschreibt: ›Kom­mu­ni­ka­ti­on ver­läuft heu­te nicht mehr sequen­zi­ell, son­dern par­al­lel und ver­netzt‹. Und er weist deut­lich auf die Para­do­xie hin, die sich die Füh­rungs­per­so­nen bewusst machen soll­ten: ›Je digi­ta­ler die Welt, umso stär­ker rückt der Mensch in den Mit­tel­punkt‹. Und wei­ter: ›Dabei steht der Chef von heu­te vor der Her­aus­for­de­rung, per­sön­li­che Bezie­hun­gen über Kul­tu­ren hin­weg mit­tels digi­ta­ler Kom­mu­ni­ka­ti­on auf­zu­bau­en und zu erhalten‹.

Doch den Chefs und Che­fin­nen von heu­te macht nicht allein die digi­ta­le Tech­nik Pro­ble­me. Die eigent­li­che Her­aus­for­de­rung ver­steckt sich hin­ter den Bits und Bytes moder­ner Medi­en. Ein wei­te­rer hier­ar­chie­kna­cken­der Effekt wird her­auf­be­schwo­ren durch Viel­falt der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mög­lich­kei­ten, den neu­en Ton in den Sozia­len Netz­wer­ken sowie viel­fäl­ti­ge Kom­mu­ni­ka­ti­ons­be­zie­hun­gen: Die Ein­la­dung zum Dia­log ist qua­si indi­rekt aus­ge­spro­chen. Und das wie­der­um kann als Kon­troll­ver­lust auf­ge­fasst wer­den. Auch hier ist ein Umden­ken not­wen­dig – mehr noch: eine neue Haltung.

Kapi­tän zur See

Dass dies nicht nur ein Effekt der Digi­ta­li­sie­rung ist, zeigt ein Bei­spiel aus der See­fahrt. Auch der Kom­man­dant ist nicht mehr unbe­strit­te­ner Allein­herr­scher an Bord. Das zeigt das Bei­spiel des Kapi­täns der ›Stad Ams­ter­dam‹. Der Nie­der­län­di­sche Per­so­nal­dienst­leis­ter Rand­stad NV und die Stadt Ams­ter­dam hat­ten sich seit 1997 beim Bau eines schöns­ten Rah­seg­lers der Welt engagiert.

Kapitän Richard Slootweg mit Sextant | Clipper Stad Amsterdam | mod. TMKapi­tän Richard Sloot­weg bese­gel­te mit ›Stad Ams­ter­dam‹ und sei­nen 30 Besat­zungs­mit­glie­dern aus unter­schied­lichs­ten Län­dern län­ger als eine Deka­de die Welt­mee­re. Dort auf hoher See war sein Wort immer noch Gesetz. Doch das ver­schont auch eine moder­ne, nau­ti­sche Füh­rungs­per­sön­lich­keit nicht, sich mit dem Feed­back der Offi­zie­re aus­ein­an­der set­zen zu müssen.

Die Eigen­schaf­ten einer guten Füh­rungs­per­sön­lich­keit benennt Sloot­weg im per­sön­li­chen Gespräch als Kom­bi­na­ti­on aus natür­li­chem Selbst­be­wusst­sein und Selbst­er­kennt­nis: ›Dies erlaubt offen zu sein für Kri­tik und auch sei­ne Ver­wund­bar­keit zu zei­gen, was die eige­ne Schwach­stel­len angeht. Ein Lea­der wird fähig sein Kri­tik für die eige­ne Refle­xi­on zu nut­zen und als eige­nen Weg des Wachs­tums anzu­neh­men. Nur die­ser Pro­zess des Wachs­tums wird zur ulti­ma­ti­ven Sou­ve­rä­ni­tät der Füh­rungs­per­sön­lich­keit füh­ren und damit zur maxi­ma­len Leis­tung des eige­nen Teams.‹

Lea­der­ship Cul­tu­re Clash

Ich glau­be, Cap­tain Blight, der Kom­man­dant der Boun­ty, wür­de den moder­nen Kapi­tän schlicht­weg nicht ver­ste­hen. Viel zu groß wären die Unter­schie­de allein im Selbst­ver­ständ­nis von Füh­rung. Auch wenn die bereits zitier­te Stu­die von Alpha Intel­li­gence Medi­en­kom­pe­tenz auf dem ers­ten Platz der Kom­pe­tenz-Hit­lis­te für Lea­der­ship zeigt: Ich sehe eine ande­re Reihenfolge.

Stillleben mit Nähutensilien. Aquarell. 14 x 19 cm, Wilhelm Wittmann (fl. –1930?), Gemeinfrei Wikipedia, modifiziert TMMei­ne The­se: Moder­ne Werk­zeu­ge zu nut­zen ist über­haupt erst sinn­voll oder mög­lich, wenn die deut­li­che Bereit­schaft zur Ver­hal­tens­än­de­rung vor­han­den ist. Dazu gehört mehr als nur die Nut­zung eines neu­en Werk­zeugs. Zual­ler­erst soll­te das neue Selbst­ver­ständ­nis von Füh­rung ent­wi­ckelt wer­den – eine neue Hal­tung. Dann wird es leicht, neue Fähig­kei­ten zu erler­nen, neue Werk­zeu­ge zu benut­zen – und mit Stol­per­fal­len klarzukommen.

Das Zau­ber­wort an die­ser Stel­le ist Authen­ti­zi­tät. Ich plä­die­re in jedem Fall dafür, bei sozia­len und emo­tio­na­len Füh­rungs­ei­gen­schaf­ten zuerst anzu­set­zen – gera­de im Mit­tel­stand, in klei­nen und mitt­le­ren Unternehmen.

Zuge­ge­ben, gera­de dies ist die anspruchs­volls­te Auf­ga­be für Tra­di­ti­ons­un­ter­neh­men aus Han­del, Hand­werk und Indus­trie. Hier herrsch­te seit Gene­ra­tio­nen und oft über ein Jahr­hun­dert die Mei­nung vor: Eine gute Füh­rungs­kraft muss auch die bes­te Fach­kraft sein. So, wie die Eigen­tü­mer selbst – die glau­ben, dass sie allen ande­ren auch fach­lich immer noch etwas vor­ma­chen kön­nen soll­ten. Da kann man sich grund­sätz­lich kei­nen Gesichts­ver­lust leis­ten. Genau so sieht dann der Füh­rungs­stil auch aus: Gera­de bei Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten geht’s dann doch zu wie beim Militär.

mod Leadership_Lideris2Doch nicht nur für neue Gene­ra­tio­nen ist die Glaub­wür­dig­keit der Füh­rungs­kraft das A und O – die Essenz für die Bereit­schaft, zu fol­gen. Ich glau­be, dass vie­le klei­ne und mitt­le­re Unter­neh­men wesent­lich bes­ser vor­wärts gekom­men wären, wenn man schon vor zwan­zig Jah­ren mit der Ent­wick­lung sozia­ler und emo­tio­na­ler Eigen­schaf­ten der Team- und Bereichs­lei­tun­gen begon­nen hätte.

Die meis­ten mei­ner Aspi­ran­ten haben zuletzt auf der Meis­ter­schu­le etwas zu Kom­mu­ni­ka­ti­on und Füh­rung gelernt – wenn über­haupt. Was man an Füh­rungs­stil prak­ti­ziert, bil­det oft das eige­ne Erle­ben von Erzie­hung ab. Die Ver­hal­tens­wei­sen sind meist tief ein­ge­schlif­fen und die Über­ra­schun­gen groß, wenn wir zusam­men­tref­fen. Feh­len­de Ein­sicht in die Not­wen­dig­keit einer Ver­än­de­rung mün­det dann schnell in Wider­stand – offen oder ver­deckt. Die Angst, das Gesicht zu ver­lie­ren, ist groß.

Soft Skills first im Mittelstand

Circari, Costică Acsinte Archive 20141120 glass plate Ialomita România ROU, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ca_20141120_(15652310840).jpgDoch davon darf sich kein Unter­neh­men abhal­ten las­sen, das eine gute Beleg­schaft braucht. Mei­ne Schluss­fol­ge­run­gen aus jah­re­lan­gen Erfah­run­gen im Kon­takt mit Füh­rungs­per­so­nen und Eigen­tü­mern: Erst wenn eine neue Form von Füh­rung gewünscht und tat­säch­lich für mög­lich gehal­ten wird, wird sich die Rol­le von Füh­rung ver­än­dern – und die not­wen­di­ge Hal­tung ent­ste­hen. Es braucht also wirk­li­che Bereit­schaft, das The­ma Füh­rung anzugehen.

Nur so wer­den sich auch die Dau­er­bren­ner auf den Agen­den Schritt für Schritt umset­zen las­sen – wie etwa wert­schät­zen­de Unter­neh­mens­kul­tur. Denn dann las­sen sich auch Ant­wor­ten auf ande­re Bedürf­nis­se des talen­tier­ten Nach­wuch­ses und unse­rer Gesell­schaft fin­den – etwa zu Work-Life-Balan­ce, Beschäf­ti­gungs­fä­hig­keit und Frauenförderung.

Schritt für Schritt nicht nur im Mittelstand

Die ers­ten Schrit­te sind meist wacke­lig, wie beim Lau­fen ler­nen üblich. Ich emp­feh­le eine wohl dosier­te und schritt­wei­se Vor­ge­hens­wei­se für Füh­rungs­per­so­nen im Mit­tel­stand: Zunächst arbei­te ich mit Unter­neh­mens­eig­nern und Per­so­nen der ers­ten Füh­rungs­ebe­ne getrennt von ande­ren Füh­rungs­ebe­nen – mit­un­ter unternehmensübergreifend.

So schaf­fe ich ein Netz von Ver­ständ­nis mit vie­len unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven und viel­schich­ti­gen Erfah­run­gen. In einem geschütz­ten Raum ler­nen Teil­neh­men­de einen neu­en Umgang unter­ein­an­der und mit den eige­nen The­men. In einem beson­de­ren Ver­an­stal­tungs­for­mat kom­bi­nie­re ich die Ver­mitt­lung neu­er Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und Krea­ti­vi­täts-Werk­zeu­ge mit der Bear­bei­tung per­sön­li­cher, aktu­el­ler, ope­ra­ti­ver Themen.

Mod, Barabasi-Albert model scale-free graph, user:Sazaedo, Wikimedia, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Complex_network_n25_BA_model.pngIn einem nächs­ten Schritt wer­den die Gren­zen zwi­schen den Hier­ar­chie-Ebe­ne auf­ge­weicht – meh­re­re Füh­rungs­ebe­nen arbei­ten zusam­men. Zu guter Letzt kön­nen bei Bedarf gar alle Ebe­nen einer Orga­ni­sa­ti­on ein­be­zo­gen wer­den. Gemein­sam wer­den dann The­men, Pro­ble­me und Fra­gen der ein­zel­nen Per­so­nen bear­bei­tet. Und auf ein­mal ist es nicht mehr wich­tig, wel­cher Ebe­ne man im Unter­neh­men ange­hört. Ent­schei­dend sind dann viel­mehr das Wir und die Gemein­sam­keit sowie die Bereit­schaft, für­ein­an­der da zu sein.

Neben einer wirk­lich neu­en wert­schät­zen­den Unter­neh­mens- und Füh­rungs­kul­tur ent­steht so ganz neben­bei ein wert­schät­zen­der Umgang miteinander.

Mei­nun­gen

Haben Sie Anre­gun­gen, Mei­nun­gen oder Fra­gen? Ich freue mich auf Kom­men­ta­re zu die­sem Bei­trag, die sehr ger­ne auch anonym ver­öf­fent­licht werden.

Vie­len Dank.
Tom Mül­ler, Gruppenintelligenz-Coach

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