Gestrandetes Frachtschiff und Wrack Edro III vor Zypern

Insolvenz mit Schwarmintelligenz

Wild ges­ti­ku­lie­rend rennt ein Mann hin und her am west­li­chen Ufer des heu­ti­gen Rheins vor etwas mehr als vier­tau­send Jahren. Auf einem mehr als zwölf Meter lan­gen Einbaum rudern fünf Menschen angst­er­füllt, um den Mann und damit das ret­ten­de gegen­über­lie­gen­de Ufer zu errei­chen. Sie sind mit ihren Mammutzähnen auf dem Weg, aus einem Nebenfluss kom­mend zu einem Handelsplatz jen­seits des gro­ßen Stroms. Nun kämp­fen sie lei­den­schaft­lich gegen die trä­ge und umso mäch­ti­ge­re Strömung an, um nicht in den fluss­ab­wärts lie­gen­den Stromschnellen mit­ge­ris­sen zu wer­den. Doch so sehr sie sich auch anstren­gen, je pani­scher sie pad­deln: Das urzeit­li­che Handelsschiff treibt schnel­ler wer­dend wei­ter vom Kurs ab, wird schließ­lich mit­ge­ris­sen, ken­tert und bleibt eini­ge Kilometer wei­ter kiel­oben im Uferdickicht hän­gen. Alles ist verloren.

Jedem ist mehr oder weni­ger klar, dass mehr vom glei­chen nicht unbe­dingt hilft in Gefahren- oder Notfallsituationen. Dennoch geschieht es häu­fig, dass noch mehr gespart, noch mehr Preisnachlass gege­ben oder immer inten­si­ver und län­ger gear­bei­tet wird. Frei nach dem Motto: Viel hilft viel. Doch mehr vom glei­chen ist nicht unbe­dingt ein Erfolgsrezept – auch nicht, bei geän­der­ten Rahmenbedingungen den ein­ge­schla­ge­nen Kurs sto­isch bei­zu­be­hal­ten. Zumindest dann nicht, wenn eben­dies zur ange­spann­ten Situation geführt hat. Warum ist das so? Warum wei­chen wir ungern von eta­blier­ten Pfaden ab? Die Ursache ist nur zu menschlich.

Schwärme gleich­ar­ti­ger Gehirne

Unser Gehirn ist ein ener­gie­hung­ri­ges Organ. Sein Gewicht macht bei Erwachsenen etwa 2 % der Körpermasse aus, ver­braucht jedoch etwa 20 % des Grundumsatzes – beim Neugeborenen sogar 50 %. Deswegen liebt es den Automatikmodus. Erlerntes, geüb­tes, erprob­tes und somit inte­grier­tes Wissen oder Verhalten wird viel leich­ter und mit gerin­ge­rem Aufwand aus den soli­de ver­schal­te­ten Synapsen wie­der abge­ru­fen. Am deut­lichs­ten wird dies bei Bewegungsabläufen.

Foto: joa­kant auf Pixabay

Versuchen Sie doch ein­mal, die Arme zu ver­schrän­ken und wech­seln Sie dann die Lage, dass das ande­re Handgelenk oben zu lie­gen käme. Diese Übung ist für die meis­ten ein auf­wen­di­ger Akt. Zudem fühlt sich die ande­re Variante komisch, unge­wohnt und irgend­wie falsch an. Im über­tra­ge­nen Sinne bedarf eine Verhaltensänderung zunächst eines höhe­ren Aufwands und macht oben­drein noch unsi­cher. Im unbe­kann­ten Terrain fehlt das Gefühl der Sicherheit.

Diese Beharrungskraft mul­ti­pli­ziert sich, wenn die­sel­ben Gehirne in glei­cher Konstellation und in iden­tisch wie­der­keh­ren­den Zusammensetzungen oder Ritualen zusam­men­kom­men, um bes­se­re Ergebnisse zu erzie­len und die not­wen­di­gen Entscheidungen zu tref­fen. Ein Schwarm ist eine Ansammlung gleich­ar­ti­ger Individuen. Auch zig­tau­send Sardinen sind immer noch Sardinen –selbst wenn sie im Schwarm von Weitem betrach­tet impo­san­ter und grö­ßer erschei­nen. Wann immer sich Nudeln in der Suppe über die Welt außer­halb des Tellerrandes unter­hal­ten, wird die­se immer wie eine Nudelsuppe aussehen.

Gruppenintelligenz ist mehr als Schwarmintelligenz

Deswegen sehe ich einen gro­ßen Unterschied zwi­schen Schwarm- und Gruppenintelligenz. Eine Gruppe besteht – mehr noch als ein Team – aus unter­schied­li­chen Individuen mit viel­schich­ti­gen indi­vi­du­el­len Erfahrungen und vari­an­ten­rei­chen ver­schie­den­ar­ti­gen Erfahrungshintergründen. Also soll­te man bei einer Aufgaben- oder Fragestellung auch ein­mal ande­re mit ein­be­zie­hen als die übli­chen Verdächtigen.

Foto: Faizal Sugi auf Pixabay

Dies soll kein Plädoyer gegen Fachwissen oder Expertentum sein – wohl aber gegen sor­ten­rei­ne Gefüge. Die Weisheit der Vielen ist eben mehr als nur viel Wissen. Selbst wenn eine rei­ne Expertenrunde unter­schied­li­che Szenarien aus­ge­ar­bei­tet hat, soll­ten sie sich mei­ner Meinung nach durch ein brei­tes grup­pen­in­tel­li­gen­tes Meinungsbild bei der Vorhersage von Wahrscheinlichkeiten unter­stüt­zen lassen.

In mei­nen Mandaten sor­ge ich für ande­re Zusammensetzungen, mische Teams zu Gruppen – oft über Bereichsgrenzen und Hierarchieebenen hin­weg. Wenn das nicht zu den gewünsch­ten Ergebnissen führt, besteht die Chance, die Kreise der ein­be­zo­ge­nen Menschen zu ver­grö­ßern. Warum soll­te man nicht auch Kunden und Lieferanten befra­gen? Im Katastrophenfall wird man dies auch tun müs­sen – nur ist’s dann oft zu spät.

Insolvenz, Sanierung, Transformation und Wandel

Die Zeichen ste­hen gut, mit Gruppenintelligenz aus der Krise zu kom­men – selbst, wenn der schlimms­te Fall bereits ein­ge­tre­ten ist. In der deut­schen Insolvenz- und Sanierungspraxis hat sich der Fokus von der rei­nen Gläubigerbefriedigung hin zur Fortführung gewan­delt – im bes­ten Fall sogar eigen ver­wal­tet unter Aufsicht eines Sachwalters.

Mensch zeichnet Pfeile, zwei Hände sichtbar: Ein Pfeil zeigt nach rechts, viel andere Pfeile nach links
Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Besser könn­te der Zeitpunkt kaum sein, hier auch vom bis­he­ri­gen Verhalten abzu­wei­chen und sich neu­er Verfahren und Methoden zu bedie­nen. Eine Sanierung oder Insolvenz wird ohne­hin nur zu einem guten Ende kom­men, wenn alle Interessengruppen früh­zei­tig, kon­se­quent und trans­pa­rent mit ein­be­zo­gen wer­den. Und schon könn­te Gruppenintelligenz ent­ste­hen und genutzt wer­den. Denn die Kunst ist nun, anders an die Sache her­an­zu­ge­hen und den­noch erfolgreich.

Sie brau­chen übri­gens nicht zu war­ten, bis der Sanierungsfall ein­ge­tre­ten ist. Gruppenintelligenz lässt sich auch vor­her nutz­brin­gend ein­set­zen. Etwa zur Behebung von Problemen und Herausforderungen, zur Gewinnung neu­er Kunden- oder Marktsegmente, für die Entwicklung von Produkten oder Strategien.

Neue Ideen, neue Methoden, neue Fähigkeiten, neue Chancen

Erfolgreich vor­an­ge­hen wird es ver­mut­lich dann, wenn auch neue Ideen gedacht, hier und da neue Methoden ange­wen­det und eini­ge neue Fähigkeiten eta­bliert wer­den. Nur gehört die Moderation sol­cher Turnaround-Prozesse nicht unbe­dingt zur Ausbildungs- und Kernkompetenz der Sachwalter, selbst wenn die­se media­to­ri­sche Qualifikation vor­wei­sen kön­nen. Lassen Sie sich zusätz­lich unter­stüt­zen von Spezialisten, die die Weisheit der Vielen, die Gruppenintelligenz zu akti­vie­ren ver­ste­hen. Dann kön­nen alle ande­ren Beteiligten und sie selbst sich auf ihre urei­ge­ne Rolle und Interessen konzentrieren.

Die unter­ge­gan­ge­nen Waren und der Einbaum hät­ten geret­tet wer­den kön­nen, hät­ten sie nur den Lotsen am ande­ren Ufer hören kön­nen. Er hät­te vor­ge­schla­gen, das Boot ein paar hun­dert Meter strom­auf­wärts zu tra­gen und es dort, an einer seich­te­ren Stelle ins Wasser zu set­zen. Das wäre zwar eini­ges an Mehraufwand gewe­sen, doch wären alle heil und unver­sehrt der Gefahr des Untergangs entkommen.

Turnaround‑, Sanierungs- und Insolvenzprozesse gehö­ren gut und pro­fes­sio­nell mode­riert. Die Vorteile lie­gen auf der Hand: Es geht krea­ti­ver, siche­rer, zügi­ger vor­an; es ent­ste­hen weni­ger hin­der­li­cher Konflikte und alle betei­lig­ten Personen oder Bereiche kön­nen sich auf ihre eige­ne Rolle konzentrieren.

Fragen, Kontakt, Unterstützung

Haben Sie Fragen, benö­ti­gen Sie Begleitung in Unternehmen in einer schwie­ri­gen Situation oder in Insolvenz? Benötigen Sie schnel­le Fortschritte und einen gro­ßen Zusammenhalt aller betei­lig­ten Personen? Schicken Sie mir eine Nachricht – ob als betrof­fe­ne oder ver­ant­wort­li­che Person in Unternehmen oder als Insolvenzverwalterin oder ‑ver­wal­ter – hier …
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Dieser Beitrag erschien am 30. Mai 2022 zuerst im …

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